Der organisierte Tod im Hotelzimmer
Nun erhält Basel auch noch eine Exit-Filiale. Den ewigen Geist, Eternal Spirit, haben wir schon. Und mein Unbehagen wächst und wächst. Es stimmt schon: Hat unser Hund lahme Hinterläufe oder die Katze ein Geschwür, und das Tier leidet ohne Aussicht auf Besserung – wir gehen zum Tierarzt und lassen es einschläfern. Nicht leiden müssen bis ans bittere Ende, wenn keinerlei Hoffnung mehr besteht, das sollte eigentlich ein Grundrecht sein. Und so erlaubt die Schweiz im Einklang mit dem Willen der Bevölkerung Selbsttötung und assistierten Suizid. Alles gut also?
Nein. Denn in der Regel wird uns nicht von unserer Ärztin oder unserm Arzt beim Sterben geholfen, wenn keine Hoffnung mehr besteht. Was der Veterinär tut, nämlich seine Patienten erlösen, wenn nur noch Schmerzen zu erwarten sind, das verweigert uns die Humanmedizin. Ärzte leisten den hippokratischen Eid, und der verbietet ihnen, beim Sterben zu helfen. Was bleibt, ist Palliativmedizin, Schmerzbekämpfung so gut es geht, und so dämmern wir irgendwie dem Ende entgegen, bis sich das Leben von selbst verabschiedet.
Schauen wir als Angehörige unsere betroffenen Liebsten so an, wie sie betäubt und unansprechbar daliegen – wir wissen nicht, ob sie wirklich keine Schmerzen haben, wirklich nicht leiden. Bang fragen wir uns, ob sie nicht dank starken Medikamenten bloss nicht mehr in der Lage sind, ihr Leiden zu zeigen.
Die Panik packt uns, und so treten wir einer dieser Sterbehilfeorganisation bei, deren Verantwortliche Namen tragen wie Zirkusdirektoren oder Cabaret-Stars, und die versprechen, uns gegebenenfalls ins Jenseits zu zaubern. Wir zahlen Mitgliederbeiträge, machen Vermächtnisse, unterzeichnen Vertragswerke, und hoffen auf ein kurzes Leiden. Vertrauen fremden Ärzten, die sich von Hippokrates nicht beeindrucken lassen, müssen ihnen vertrauen, zu gross ist die Angst, eine andere Möglichkeit gibt es nicht, denn die restliche Welt lässt uns im Stich.
"Wir müssen den assistieren Suizid
aus dem Hinterzimmer holen."
Denn was das Gesetz erlaubt, machen sich Ärzte, die die Berufsehre à la Hippokrates nicht so eng sehen, zunutze. Sie mieten Wohnungen, empfangen dort die hoffnungslosen Patienten und helfen ihnen, sich selbst zu töten. Nicht Geld stehe im Vordergrund, wird beteuert, alles sei gemeinnützig. Schwanengesänge. Die sogenannte Nächstenliebe dieser Todesengel geht so weit, dass die tödliche Tätigkeit grenzüberschreitend angeboten wird, denn andere Länder erlauben assistierten Suizid nicht. Und so reisen lebensmüde Schwerstkranke von weither an, begeben sich ins trostlose Sterbezimmer und verlassen es nie wieder lebend. Ja, wir Schweizer wissen nicht nur in Steuersachen die Verbote anderer Länder zu nutzen, und tun es gewissenlos, wenn es denn lukrativ ist.
Für den Nächsten in den letzten Stunden da zu sein und ihm beim Sterben zu helfen, wenn nichts mehr geht, ist nicht die Sache fremder Leute, sondern die Sache derer, die vertraut sind, der Angehörigen und der behandelnden Ärzte. Sterbehilfe muss offen sein, transparent, fachmännisch, und entweder im Spital erfolgen oder Zuhause, nicht in einer dubiosen Privatwohnung, und nicht für tausende von "gemeinnützigen" Franken. Die letzte Hilfe ist ein Liebesdienst, ein Akt der Würde und des Respekts.
Mit Exit, Eternal Spirit und wie sie alle heissen mögen, wird mitten im Wohngebiet beruflich gestorben. Die Nachbarn müssen regelmässig zusehen, wie die Sterbewilligen angereist kommen, wissen, dass nun hinter der Wand gestorben wird, und dann kommen Polizei und Totengräber, am Strassenrand stehen Seite an Seite Streifen- und Sargwagen. Und alle, Kinder wie Erwachsene, wissen, was es geschlagen hat, stehen da mit grossen Augen. Das ist belastend, unerträglich.
Wenn wir assistieren Suizid erlauben, müssen wir auch den zweiten Schritt wagen und ihn aus dem Hinterzimmer holen, ins Leben, ans Licht. Die Begleitung hat kontrolliert und professionell im Rahmen der allgemeinen Gesundheitspflege zu erfolgen, im vertrauten Umfeld, durch den Vertrauensarzt. Alles andere ist ein Armutszeugnis für die Gesellschaft und unwürdig für die Leidenden. Und aus dem Verbot im Ausland hierzulande Kapital zu schlagen, ist schlicht verwerflich, legal hin oder her.
Der Eid von Hippokrates wurde schon mehrfach angepasst – tun wir es also ein weiteres Mal. Und schicken wir die schleimigen Jenseitszauberer, die uneigennützigen, zum Teufel.
30. September 2013
"Ein Cocktail von Kraut und Rüben"
Argumente dürfen verschieden beurteilt und daraus dürfen verschiedenen Meinungen entstehen. Frau Strahm darf also eine Gegnerin der organisierten Sterbehilfe sein und darf in ihrer Kolumne das Thema pointiert aufgreifen. Leider hat sie es in dieser Kolumne unterlassen, ihre Annahmen zu verifizieren, sondern hat buchstäblich Kraut und Rüben zusammen mit Vorurteilen zu einem Cocktail von Fehlinformationen vermischt. Wer den Weg des assistierten Suizids begeht, ist weder Panik-getrieben, noch stirbt er einsam und unter dubiosen Umständen im Hinterzimmer. Vor allem EXIT pflegt seit Jahren in allen Belangen (inklusive Finanzen) absolute Transparenz (www.exit.ch), Begleitungen finden im Regelfall im eigenen Heim im Kreise der engsten Angehörigen und Freunde statt, das Rezept für das Sterbemittel stammt von einem "normalen" Arzt, oft vom eigenen Hausarzt.
Marion Schafroth, Dr. med., Vorstandsmitglied EXIT, Liestal
"Es gibt auch den gewaltsamen Suizid"
Andrea Strahm lässt sich in ihrer Kolumne in gewohnt scharfer Art über den Tod im Hotelzimmer oder "Hinterzimmer" aus. Als aktuelle Alternative nennt sie die Palliativmedizin, die Schmerzbekämpfung, das Verdämmern. Es gibt aber noch eine andere, häufige Alternative: den gewaltsamen Suizid. Er ist in unserer Rechtsordnung erlaubt. Aber sich selbst zu töten, ist nicht einfach. Deshalb passieren Suizide häufig gewaltsam. Menschen erschiessen sich, erhängen sich, stürzen sich von Brücken oder werfen sich vor den Zug. Das bewirkt jeweils einen Schock für die Angehörigen und für zufällig betroffene Dritte. Für die Rettungskräfte ist das "Aufräumen" eine Arbeit, die sich tief und schmerzlich in die Erinnerung eingräbt. Das ist, in den Worten von Andrea Strrahm "belastend, unterträglich".
Die Schweiz hat eine hohe Suizidrate. Und eine grosse Zahl jener Menschen, denen das Vorhaben nicht gelang, die aber zeitlebens Folgen davon tragen. Das verdrängen wir meisterhaft. Denn der Umgang mit Sterben und Tod ist nicht einfach. Der Grundsatz, dass die Menschen in Würde sollen sterben können, ist in unserem Lande unbestritten. Besteht dieser Anspruch auch für Menschen, die zum Suizid entschlossen sind?
Heinrich Oswald starb 2008 mit Hilfe von "Exit" zuhause. Und erinnerte sich gemäss der Beschreibung seines Sohnes Ueli Oswald, der ihn auf diesem Weg begleitete, im allerletzten Augenblick an seine drei besten Freunde, die alle durch gewaltsamen Suizid aus dem Leben gegangen waren. Er aber konnte im Kreise seiner Angehörigen friedlich einschlafen zu dem Zeitpunkt, der ihm richtig schien!("Ausgang", Edition Epoca). Das ist würdiges Sterben für Menschen, die die Verantwortung für ihren Tod selbst übernehmen wollen.
Judith Stamm, Luzern
"Offene öffentliche Worte"
Bravo, liebe Andrea Strahm! Noch nie habe ich derart offene öffentliche Worte gelesen. Danke dafür.
Susanne Haller, Basel
"Welches Rezept hat Frau Strahm?"
Und welches Rezept hat Frau Strahm, wenn es leider heisst: "Wegen eines Personenunfalls können zwischen Liestal und Lausen keine Züge verkehren"? Von solchen Ereignissen sind jeweils sehr viele Menschen/Pendler betroffen.
Fritz Kunz, Therwil