Skandal: Frau erneut zu Kolumne genötigt
Es war kein Ausländer, immerhin. Ansonsten: "Frau vergewaltigt", "Am helllichten Tag: Jugendlicher zusammengeschlagen". Schaue ich gerade jetzt (Sonntag, 16. September 2012, 10:30) mein Lieblings-News-Portal an, dann hat's da zehn Pfeile mit Schlagzeilen, zwei rote und acht graue. Die roten heissen "Zwei Schwerverletzte … " und "Vater tötete …" Das scheinen die weltbewegenden zu sein. Bei den acht grauen hat es noch drei der Kategorie "Unfälle und Verbrechen". Die Hälfte der Schlagzeilen dieses doch eigentlich seriösen Mediums hat also mit Themen zu tun, die traditionellerweise ins Ressort von "Blick" & Co. fallen.
Dies ist kein Einzelfall, alle Medien informieren zwischenzeitlich entsprechend. Mit der Erregung von Gefühlen wie Angst, Empörung und Entsetzen, Lust oder Lüsternheit ("Sex sells") werden Leser und Leserinnen an Land gezogen. Und das gibt Kohle, denn je grösser die Leserschaft ist, desto mehr Werbung wird geschaltet.
Die Krux: Seit Gratisblättchen die Massen überschwemmen und News im Internet gratis und franko erhältlich sind, verdient keine Zeitung, kein Newsportal und keine Nachrichtensendung ihr Geld mehr mit den Abonnenten, sondern nur noch mit Werbung. Und die Werbung verlangt nach der Masse. Die Folge sind plakative Schlagzeilen und da muss die interessierte Leserin durch, will sie zu den interessanten Themen gelangen. Es geht bei dieser Art der Berichterstattung also nie um die Opfer, um Prävention oder Aufklärung, sondern um Leserzahlen und damit, fürs Medium, ums nackte Überleben. Informieren ist nicht mehr wichtig, nur noch erregen zählt.
Warnen und aufklären tut die Polizei, und dies praktisch unbeachtet von den Medien. Die "Aktion Augen auf und Tasche zu" läuft das Jahr hindurch, Aktion "Noël" bei den Taschendiebstählen in der Vorweihnachtszeit. Es gibt Durchsagen im Tram und der Polizeibus kommt ins Quartier, warnt vor Dämmerungseinbrüchen und verteilt Broschüren, wie vorgesorgt werden kann. Wer möchte, kriegt Besuch vom Fachmann, der Wohnung oder Haus gratis und franko begutachtet und schaut, wo Sicherheitsvorkehrungen angebracht sind, damit kein Einbrecher eindringen kann. Die Polizei stellt Kriminalitätsstatistiken zur Verfügung, zeigt auf, wo Handlungsbedarf besteht, und dies wird von der Regierung Ernst genommen. Es geht also nicht nichts. Bloss berichtet kaum ein Medium darüber.
Klar ist: Die erdrückende Mehrheit aller Frauen wird nicht vergewaltigt, Jugendlichen nicht beraubt oder zusammengeschlagen, und die allermeisten Väter töten ihre Kinder nicht und Mädchen kommen nachts sicher nach Hause. Auch gehen die meisten Ausländer auf niemanden mit einem Messer los, ausser auf den Sonntagsbraten. Die moderne Berichterstattung bauscht auf und erweckt so einen Eindruck, der den Tatsachen nicht entspricht. Sie schafft ein Klima der Angst, welches jeder Objektivität entbehrt. Und wer diese Optik zurechtrücken will, dem wird unterstellt, er spiele die Risiken herunter.
Dies wird derzeit im Wahlkampf breit instrumentalisiert. Den Ball haben die Medien zugespielt, die Kandidaten nehmen ihn dankbar auf. Die Sicherheit ist zum Lieblingsthema vieler geworden. Dabei wird übersehen, dass damit einer billigen Stimmungsmache ein Wahrheitsgehalt zugestanden wird, der jenseits aller Realitäten ist. Es besteht die Gefahr, dass mit dieser Sicherheitsdebatte Mittel gebunden werden, die anderswo dringend benötigt würden.
Denn klar ist nur eines: Auch wenn an jeder Ecke ein Polizist steht und wir überall Kameras haben – die Medien werden weiterhin jeden Überfall, Unfall und Skandal umgehend aufnehmen, aufbauschen und in Szene setzen, wenn damit die Leserzahlen steigen. Womit sich am Klima der Angst nichts ändern wird, Fakten hin oder her.
Diese Art der Berichterstattung schafft Opfer, anstatt aufzuklären und zu informieren. Die Medien stehen unter Druck, können ihre Verantwortung nicht mehr wahrnehmen, Respekt und Anstand fehlen. Dies ist skandalöser als all die Schlagzeilen, die da in Grossbuchstaben auf Blechkisten prangen. Und dies sollten Politiker nicht unterstützen, sondern anprangern.
Ich habe nichts gegen Information, nichts gegen Sicherheit, nichts gegen Fakten. Aber alles gegen üble Stimmungsmache, reisserische Schlagzeilen.
(Redaktionelle Anmerkung: Diese Meinung der Kolumnistin deckt sich ausdrücklich nicht mit jener der Redaktion;-)
24. September 2012
"Ein Eigengoal geschossen"
@Gabi Mächler: Meines Wissens kandidiert Frau Strahm (erneut) für den Grossen Rat, hat also sehr wohl politische Ambitionen. Ob das Thema und der Stil dieser Kolumne Wahlkampf ist oder nicht, weiss ich nicht. Aber wenn, dann könnte die Kolumnistin damit ein Eigengoal geschossen haben.
Gaby Burgermeister, Basel
"Andrea Strahm macht es sich zu leicht"
Woher weiss eigentlich Herr Müller, aus Molinazzo di Monteggio, ob Basel sicher ist? Auch Andrea Strahm macht es sich zu leicht, wenn sie die Schuld gewissen Medien in die Schuhe schiebt. Ich kenne viele ältere Damen, die weder Blick, Gratiszeitungen noch OnlineReports lesen und trotzdem abends nicht mehr auszugehen wagen, weil sie sich kein Taxi leisten können. Das war früher anders. Nicht nur die Gewalttaten sind ein Problem, sondern auch, dass man anscheindend heute nicht mehr frei darüber diskutieren darf.
Alexandra Nogawa, Basel
"Frau Strahm macht sich über Opfer lustig"
Frau Strahm versucht, die erschreckende tägliche kriminelle Realität und die zunehmende Brutalität der kriminellen Ereignisse in unserer Region zu beschönigen. So macht sie sich bewusst oder unbewusst über die Opfer lustig.
Selbstverständlich gehört klipp und klar gesagt und geschrieben, wer die Täter sind und woher sie kommen. Diese Wahrheitspflicht hat OnlineReports stets erfüllt. Ganz abgesehen davon, dass bei vielen Fällen, wo "Schweizer" vermerkt wird, dahinter "mit Migrationshintergrund" stehen sollte.
Die wahren Prozentzahlen der Herkunftsländer der Täter sind deshalb – leider – wohl nach oben zu korrigieren.
Sabina Droll, Seltisberg
"Danke, Danke, Danke"
Danke, Danke, Danke Frau Strahm für die träfen Worte, sie sprechen mir aus dem Herz. Als Kolumnistin können Sie es nüchtern beleuchten, eine Politikerin würde man des Wahlkampfs bezichtigen. Darum Danke, es aus Ihren Federn immerhin lesen zu dürfen.
Gabi Mächler, Basel
"Donation für den OnlineReports-Recherchierfonds"
Gut so, Frau Strahm! Der letzte Wink mit dem Zaunpfahl an die Post war gut ... und nötig! Und nun dieser an die Medien, besser und noch nötiger! Der Kampf um Aufmerksamkeit ist in vollem Gange. Ihr Titel sei Ihnen aus aktuellem Anlass verziehen. Sie haben nebenbei der Idee wirksam nachgeholfen, jene Medien ohne Werbung und ohne das schon Berichtete wiederzukäuen, mit einer Donation zu unterstützen. Ich erteile einen Dauerauftrag über monatlich Fr. 10.-- an die Adresse:
Basellandschaftliche Kantonalbank, Liestal
Postckeckkonto 40-44-0
IBAN CH84 0076 9055 8466 8200 1
OnlineReports Recherchierfonds, 4001 Basel
Bruno Rossi, Gelterkinden
"Medien erwecken einen falschen Eindruck"
Schön, dass eine junge Frau es wagt, diese Meinung zu vertreten. Im Vergleich mit anderen Ländern, auch innerhalb Europa, ist die Schweiz immer noch ein sehr sicheres Land. Zugenommen haben die Verbrechen in den letzten Jahren nur marginal; es sind die Medien, die den Eindruck erwecken, die Welt bestehe aus Verbrechen. Ist halt die Information, die am preisgünstigsten zu haben ist. Polizeiberichte sind gratis. Leider bringt auch OnlineReports mehr und mehr "Unfälle und Verbrechen". Der Nachsatz der Redaktion unter Andrea Strahms Kolumne ist da wenigstens ehrlich. Aber schade ist es trotzdem.
Chirstian Müller, Molinazzo di Monteggio