Weniger Kriminalität: Das grosse Schweigen
Was sagt Ihr Horoskop denn so für 2015? All diese Tessiers, Shivas, Madame Michelles etcetera haben ja derzeit Hochsaison. Jetzt, wo ich den Text hier schreibe, ist allerdings noch 2014 und somit Rückblick angesagt. Und da erfahre ich doch von der letzten "NZZ am Sonntag" des Jahres von Ereignissen, über die 2014 kaum oder gar nicht berichtet wurde. Zum Beispiel darüber, dass die Kriminalität in der ganzen westlichen Welt rückläufig ist.
Ja und denn all diese Überfälle, Räuberbanden, Vergewaltigungen, Diebstähle, Einbrüche? Wegen nichts fordern die doch wohl nicht die Aufstockung des Grenzwachkorps, des Polizeikorps, der Drohnen-Armada und des polizeilichen Wagenparks? An jeder Ecke wollen wir eine Kamera, damit die Übeltäter dingfest gemacht werden können, haben ja nichts zu verstecken, wir, die Anständigen. Von wegen Datenschutz, meine ich. Es isch nümm wie fryener, wie meine Mamme zu sagen pflegt. Und nun das. Rückgang der Kriminalität, und keiner berichtet darüber.
Kann ja nicht sein, ist aber so, auch in Basel. Die Staatsanwaltschaft, abgekürzt "Stawa", publizierte am 27. August 2014 den Halbjahresbericht mit Vorjahresvergleich. Und da steht: -40 Prozent Tötungsdelikte, -15 Prozent Einbrüche, -10 Prozent Taschendiebstähle, -55 Prozent Raub und Entreissdiebstähle, -10 Prozent Sachbeschädigungen. Mit je 5 Prozent zugenommen haben Körperverletzungen, Vergewaltigungen und Gewalt oder Drohungen gegen Beamte. Die Gesamtzahl der kriminellen Taten hat im Vorjahresvergleich aber markant abgenommen.
"Die Meldung der Staatsanwaltschaft
schaffte es in keine müde Zeitungszeile."
Sogar die Jugendkriminalität, so steht geschrieben, sei schon seit ein paar Jahren auf konstant tiefem Niveau, trotz Wagenburgen, Sprayereien und Gekiffe. Immerhin wird Schwarzfahren nicht mehr erfasst; das hat die Jugend statistisch anständiger gemacht, aber nicht wesentlich. Entwarnung wäre also angesagt, bei Jung und Alt.
Die obige Stawa-Meldung schaffte es jedoch in keine müde Zeitungszeile. Im Gegenteil, zwei Tage nach der Publikation entrüstete sich der pensionierte Kriminalkommissär Markus Melzl in der lokalen Tageszeitung über die Zustände am Claraplatz. Er hatte wohl den Bericht der Staatsanwaltschaft nicht gelesen, sonst hätte er sicher nicht gefordert, dass datenschützerische Bedenken hinter die Sicherheit zu stehen hätten. Und dass die Politikerinnen und Politiker über ihren Schatten zu springen hätten. Drum sind sie so fit, die Politikpersonen, weil sie immer springen müssen.
Aber lassen wir das, es sind nicht nur die Medien in Basel, die schwiegen und schweigen, die NZZ ist auch nicht besser. Am 19. September 2014 geht sie breit auf die erhöhte Gewalt gegen Beamte ein und verschweigt vornehm den Rückgang der andern Delikte und damit der Gesamtzahl. Für alle, die der Staatsanwaltschaft Kosmetik unterstellen: Ihre Ergebnisse entsprechen denen der SUVA und der andern Versicherungsgesellschaften, überall gingen die Meldungen zurück.
Auf breiter Flur also das grosse mediale Schweigen. Dabei wären wir doch alle froh und würden aufatmen, wüssten wir, dass die Zeiten nicht gar so arg sind, wie immer behauptet. Und dass es keinen Grund gäbe, nach immer mehr Prävention, Polizei und Überwachung zu schreien.
Die Mannen und Frauen von Baschi Dürr leisten gute Arbeit. Ob sie allerdings schuld daran sind, dass die Kriminalität zurückgeht, will man bei der Stawa offen lassen. Einerseits sei der Trend in der ganzen westlichen Welt der gleiche, und unsere lieben Schugger und Schuggermysli können höchstens etwas für Basel. Und zudem, gibt man sich diplomatisch, gehe es halt immer mal wieder auf und ab.
Womit wir wieder bei den Prognosen wären. Wir werden Wahlen haben, zwei Jahre lang. Und, davon dürfen Sie ausgehen, die Wach- und Schutz-Partei wird Zeter und Mordio schreien über all die Kriminellen und Ausländer, die uns da so arg bedrohen sollen. Denn tut sie das nicht, die liebe Schrei-Partei, schwimmen ihr die Wahl-Felle davon. Und weil Zeter und Mordio dank Adrenalinkick lieber gelesen wird als verbales Valium, werden die Medien weiterhin dramatisieren.
Statt der Zeitung können Sie also gerade so gut dem Orakel glauben. Auch da können Sie beruhigt sein, denn 2015 ist ein Jupiterjahr, und das verheisst scheint’s ein Glück. Das lassen wir uns doch ebenso gerne gefallen wie rückläufige Kriminalitätsstatistiken.
5. Januar 2015
"So durchsichtig politisch"
Das Statment von Andrea Strahm, welches sicherlich seine Berechtigung hat, erinnert mich an den Kommandanten der Freiwilligen Feuerwehr in Weissderguggerwo! Der steht lächelnd vor der eben abgebrannten Scheune des Geflügelbauers im Dorf und sagt: "Nee, wir brauchen keinen neuen Feuerwehrwagen. Der hunderjährige Spritzenwagen tuts auch. Schliesslich hat es im letzten Jahr nur einmal gebrannt. Das sind 100 % weniger als im Vorjahr!". Die Message der Kolumne wäre wunderbar. Wäre sie einfach nicht so durchsichtig politisch.
Daniel Thiriet, Riehen
"Zeter und Mordio"
Frau Stamm, hilft es denn den Opfern mehr, wenn die "Wach- und Schutz-Partei" Zeter und Mordio schreit über all die Kriminellen und Ausländer, die uns da so arg bedrohen"? Und wenn die Sensationsmedien dies bereitwilligst übernehmen?
Die von Ihnen angesprochenen Missstände von Afghanistan und Indien sind zugegebenermassen schlimm. Das wird aber nicht ignoriert, wie der den Problembewirtschaftern nicht genehme Rückgang in der Kriminalstatistik hierzulande.
Peter Ensner, Basel
"Ein politischer Tante Emma-Laden"
Da ist sie wieder, die gute alte CVP. Für jede und jeden etwas im Angebot. Ein richtiger politischer Tante Emma-Laden.
Die aktuelle CVP-Präsidentin macht sich lustig über diejenigen, die vor der Zunahme von Überfällen, Räuberbanden, Vergewaltigungen, Diebstählen und Einbrüchen warnen. Sie mokiert sich über Politiker, die an jeder Ecke eine Überwachungskamera einrichten wollen, um der überbordenden Kriminalität Herr zu werden. Ihre treuen Bündnispartner von der SVP bezeichnet sie despektierlich als "Wach- und Schutzpartei".
Und was machen Markus Lehmann, einer ihrer Vorgänger, und die vollzählige CVP-Fraktion im Grossen Rat? Sie reichen einen Vorstoss ein, der ein Gesetz für eine wirksame Video-Überwachung im öffentlichen Raum verlangt. Begründung (Originalton): Die Kriminalität nimmt objektiv zu. Personen werden zu jeder Nacht- oder Tageszeit überfallen. Wir sind auf dem besten Weg zu kapitulieren gegenüber dem Verbrechen und diese Bankrotterklärung darf unserer Bevölkerung nicht zugemutet werden.
Welches Medikament soll nun wirken? Die Beruhigungspillen von Andrea Strahm oder die Alarmrufe ihrer Fraktion? Beides zusammen geht nicht.
Roland Stark, Basel
"Den Opfern nützt der Rückgang nichts"
Wenn wir die Kolumne von Andrea Strahm lesen, können wir ja nur noch aufatmen. Und uns am Morgentisch, beim Mittagskaffe oder abends vor dem Kinogang erfreut darüber unterhalten, dass die Kriminalität zurückgegangen sei. Ich denke aber, wieviel Prozent auch immer, wieviele Fälle auch immer, denjenigen, die es trifft, nützen alle diese Statistiken nichts. Während einiger Zeit überschrieb Peter Knechtli seine Meldungen mit: "der tägliche Raubüberfall in Basel". Schön, wenn das nur noch drei Mal oder sogar nur noch einmal pro Woche passiert. Wer Opfer wird, den kümmert das einen alten Hut!
Und weil es uns so gut geht, könnten wir ja einen Blick über den Tellerrand hinaus tun. Nach Afghanistan, da haben sich die internationalen Truppen auf Ende 2014 zurückgezogen. Was wird die Folge für die Zivilbevölkerung, für die Frauen und Kinder sein? Nach Indien. Mit diesem Lande haben wir ein Freihandelsabkommen, dessen Abschluss unser Volkswirtschaftsminister kommentierte mit: "I feel good". In der gleichen Zeit haben uns die Meldungen über die häufigen Vergewaltigungsfälle erschreckt. Oder in den Kongo: "In den ungesicherten Coltan-Minen sind es vor allem Kinder, die dort schuften müssen. Weil sie so kleine Hände haben, selbst noch so klein sind und daher besser in die gefährlichen Stollen hineinrutschen können". Ich nenne die drei Länder nicht von ungefähr.
Über die Festtage habe ich das Buch von Maria von Welser: "Wo Frauen nichts wert sind" gelesen. Tja, eben klingelt mein Handy. Wie war das jetzt mit dem Coltan?
Judith Stamm, Luzern