Die Krux mit der zweiten Gotthard-Röhre
Nein, wir wiederholen nicht die sattsam bekannten Argumente von rechts bis links in Sachen Gotthardtunnel-Sanierung. Liebe Autofahrer, böse Autofahrer, freie Fahrt, Herdentransport, nachhaltige oder provisorische Lösung, schöne Alpen. Wir reden von der Praxis, denn die Gegner einer zweiten Gotthardröhre sitzen im Zug, brausen auf der Schiene durch den Tunnel, und haben nicht den Dunst einer Ahnung, was am Gotthard wirklich abgeht.
Wir fahren etwa zehn Mal jährlich ins Tessin und wieder zurück, öfters als nach Riehen, Weil am Rhein oder Münchenstein. Im Zug oder im Auto, nach Lust und Laune. Im Zug bleibt Zeit, Kolumnen zu schreiben oder die gigantischen Mengen an Dokumenten des Grossen Rates durchzuackern. Und haben wir etwas zu transportieren oder bleiben wir länger, nehmen wir eben das Auto.
Die Autobahn zwischen Basel und Göschenen war noch nie durchgehend zweispurig, NOCH NIE. Es hat immer irgendwo eine Baustelle und eine gesperrte Spur. Es staut sich am Belchen, in Härkingen, Rotkreuz, Luzern, Hergiswil. Und nach dem Gotthard wieder in Chiasso, und in Italien an der ersten Zahlstelle. Der Gotthard hingegen kann im Sommer bequem in beiden Richtungen je zweispurig überwunden werden, jetzt schon, nämlich einspurig durch den Tunnel und zusätzlich einspurig via Andermatt, was gerade einmal 15 Minuten länger dauert. Als Autofahrerin brauche ich also keine vier Spuren durch den Gotthard, ich habe sie ja schon, wenn auch nicht parallel verlaufend.
"Der Alpenfreund ärgert sich in seinen
Ökosandalen über die Ökovandalen."
Die Route obeduure via Andermatt wählt so mancher Tunnel-Phobiker auch ohne Stau, und so wälzt sich sommers die Blechlawine durch die Berge und in Andermatt stinkt es zuweilen wie in einer Tiefgarage. Beim Gotthardhospiz entlang der Strasse parkiert Auto an Auto, mitten in der schönen Bergwelt. Die Touristen machen Selfies im Schnee, und abends vom Strand in Rimini, ein Geposte, Facebook lässt grüssen. Eine Spur von Ausscheidungen und Abfall zieht sich so durch die nicht mehr so schöne Alpenwelt. An jeder zweiten Kurve steht ein windiger Stand mit Alpenrosen, Alpenkäse, Alpenveilchen und sonstigem Alpenzeug, und die alte Postkutsche lässt sich Touristen gerecht von vier Rössern über den Pass ziehen, hin und her und hin und her.
Und so rollen nicht nur die Autos, es rollt auch der Rubel, vor allem auf der Nordseite, vor allem in Andermatt. Kein habitué wundert sich darüber, dass so mancher Urner "aus wirtschaftlichen Gründen" gegen eine zweite Röhre Amok läuft. Der Rummel ist ein Riesengeschäft, ein zweiter Tunnel wäre schlecht, es könnten ja ein paar Tunnel-Ängstliche mehr den Weg unter der Bergwelt hindurch wählen statt ein Schnipo in der Bergwelt.
Die Tessiner hingegen sind wirtschaftlich völlig vom Norden abhängig. Im Tessin befinden sich unzählige produzierende Betriebe, die in die restliche Schweiz und das nördliche Ausland liefern. Unternehmen mit Filialen oder dem Hauptsitz nördlich des Gotthard sind darauf angewiesen, rasch vor Ort sein zu können. Der Gotthard-Strassentunnel ist die wirtschaftliche Nabelschnur des Tessins, die Durchfahrt muss ganzjährig gewährleistet sein. Wird die zweite Tunnel-Röhre nicht gebaut, muss der Tunnel für die Sanierung während etwa 900 Tagen gesperrt werden. In den reiseintensiven Monaten, ausgerechnet dann also, wenn die Passstrasse offen ist, sollen die Arbeiten nach gegnerischem Konzept unterbrochen und der Tunnel geöffnet werden, damit die Touristen rascher nach Italien kommen. Womit der Südkanton ausgerechnet im Winter, wenn die Passstrasse geschlossen ist, noch länger von der Restschweiz abgekoppelt bleibt, soll selber schauen, wo er bleibt. Er wird nirgendwo bleiben, liebe Leute, Konkurse und eine Wirtschaftskrise ungeahnten Ausmasses werden die Folge sein.
Die Linke behauptet, das Geld werde für andere Strassenprojekte gebraucht – wie wenn sie sich nicht gegen schlicht jedes Projekt zur Wehr setzen würde, welches mit Asphalt, aber nicht mit Velo zu tun hat. Das Geld ist da, für eine sichere und übers Jahr gewährleistete Durchfahrt durch den Gotthard, ohne Gegenverkehr, einspurig, jede Spur in seinem eigenen Tunnel.
Und der Alpenfreund sitzt im Zug und ärgert sich in seinen Ökosandalen über die Ökovandalen. Letztere stehen aber nicht vor den Tunnelportalen im Stau, die lärmen und stinken über die Passstrasse. Alpenschutz, dass ich nicht lache.
18. Januar 2016
"Starkes bürgerliches Komitee"
Es sind keineswegs nur linke Zugfahrer in Ökosandalen, die sich gegen eine zweite Gotthardröhre wehren: Im Bürgerlichen Komitee gegen die 2. Röhre haben sich über 400 Mitglieder bürgerlicher Parteien zusammengeschlossen. Denn dass das Geld, das für den zweiten Tunnel verschleudert würde, anderweitig fehlen wird, ist klar. Auch der Bundesrat sagte im Grundlagenbericht zur Sanierung des Gotthard-Strassentunnels: "Per se, aber insbesondere auch angesichts der künftig zunehmend angespannten Situation der Spezialfinanzierung Strassenverkehr, sind diese Ausgaben beziehungsweise die dadurch entstehende Mittelkonkurrenz bedeutend."
Auch was die Chancen und Risiken der Sanierung angeht, hat der Bundesrat aufgezeigt, dass die Chancen einer Sanierung mit Bahnverlad für die regionale Wirtschaft im Tessin – sowie auch in Uri – grösser sind als die negativen Auswirkungen.
Keine Spur also von einer "Wirtschaftskrise ungeahnten Ausmasses". Denn auch mit Bahnverlad bleibt die Verbindung zum Tessin ganzjährig aufrechterhalten. Einerseits mit dem neuen Gotthard-Basistunnel, der noch dieses Jahr eröffnet wird. Dank ihm wird das Tessin so gut wie nie zuvor mit der Deutschschweiz verbunden sein. Andererseits mit einem Bahnverlad für LKW und Personenwagen während der verkehrsarmen Wintermonate.
Julia Rickenbacher, Schattdorf UR
"Umlagerung darf nicht sabotiert werden"
Als langjähriger Bataillons-Quartiermeister in der oberen Leventina, Qm des Festungs-Regiments 23 und zuletzt Kriegskommissär der Gotthardbrigade kenne ich die Anliegen der Ticinesi wie der Innerschweizer. Nunmehr kann ich mir auch Ferien in Ascona und im Sottoceneri leisten und weiss um die Ängste im Sottoceneri um die Luft am Lago Maggiore und am Luganersee.
Im Juni feiern wir die Eröffnung der weltmeisterlichen NEAT-Röhre von 57 km mit Verladekapazität für die LKW vom Norden nach dem Süden Europas. Der innerschweizerische Verkehr kann mit der "Rollenden Landstrasse" zwischen Göschenen und Airolo sommers und winters transportiert werden. Das kommt uns allen deutlich billiger, wenn nur die Parteikollegin von Andrea Strahm mit ihren Bundesämtern für Strasse und Schiene die Hausaufgaben seriös gemacht hätte! Die Umlagerung auf die Schiene darf nicht auf halbem Wege sabotiert werden!
Werner Strüby, Reinach