Rabeneltern am Smartphone: Lasst sie doch!
Empört zeigt mir der Kollege das Bild: eine Wartezone, ein Baby am Boden auf einer Unterlage, und die Mutter am Smartphone. Unglaublich. Auch kürzlich, neben mir im Tram, der junge Vater, tippte auf dem Ding rum, derweil die Vierjährige dem Einjährigen den Nuggi in den Mund schob. Ja geht’s denn noch, diese Eltern heute, ständig online statt on-Kids. Warum haben die überhaupt Kinder!
Wir fuhren Zug, meine Mutter und ich, ich etwa vier Jahre alt. Ich las begeistert alles an Grossbuchstaben, was ich durch die Zugscheiben erkennen konnte. Etwa "Moutier", eine Ortschaft im Jura. Sind ja so schön gross, weiss auf blau, die Bahnhoftafeln. Ich las also laut "M-O-U-T-I-E-R", und hakte nach, "Mami, was ist ein Mou Tier?". Ihre zerstreute Antwort: "eine Katze".
Das Publikum grölte, meine Mutter riss sich vom Modemagazin los, realisierte den Grund für die Erheiterung, und lachte mit. Schuldgefühle, weil sie sich nicht genug mit mir beschäftigt hatte? Nicht die Bohne. Kinder hatten sich selber zu beschäftigen. Und wenn sie es nicht konnten, mussten sie es lernen. Eltern waren doch nicht die Pausenclowns der Kinder.
"Eltern brauchen etwas Ablenkung –
wie in der Handy-losen Vorsteinzeit auch."
Ein paar Jahre später wurden wir glückliche Wunscheltern von den umwerfendsten Babys ever, waren von Beginn weg unglaublich verliebt in sie, und sind es noch immer. Und ich – und das hätte ich damals niemals, niemals, zugegeben – ich langweilte mich zeitweise schier zu Tode. Was tun, so stundenlang, alleine mit dem Baby?!
Man kann ja nicht dauernd auf seinem Bauch rumkitzeln und sein Glucksen glückselig zur Kenntnis nehmen, muss da sein, wenn es schreit, aber wenn nicht, was dann? Irgendwann ist das Haus blitzblank, und zudem war Haushalt nie mein Ding, eher die Kategorie notwendiges Übel. Und nun das Baby, welches, so sicher wie das Amen in der Kirche, genau dann Aufmerksamkeit braucht, wenn wir uns endlich bis zum zweiten Absatz des komplexen Zeitungsartikels durchgelesen haben. Dass es aller Liebe zum Trotz derart langweilig wird, das sagt einem keiner, das fährt dann mit dem ersten Kind so richtig ein.
Es wurde einfacher, aber nicht einfach. Am Schwimmbadbecken, mit angelaufenen Brillengläsern, ständig die Kinder in der Menge und im ohrenbetäubenden Lärm orten, auf dass keins ertrinke. Oder beim Sandkasten, Zeit totschlagen, bis das Gebrüll losgeht, Sand in den Augen. Ständig präsent, ständig gefordert, und dennoch unterfordert. Wirklich etwas Anspruchsvolles kann da keiner tun, mindestens ein Ohr muss immer beim Nachwuchs sein. Und geht das Geschrei erst los, dann hat der Elternteil innert Bruchteilssekunden von Null auf Hundert, ja Tausend, zu sein. Wir sassen in der Nachbarschaft zusammen, unternahmen dies und das, und wir genossen die Zeit sehr.
Es gibt natürlich die Spezies, die ihren Nachwuchs dauerbedüddelt. Hier hin bettelet, dahin bettet, Deckchen reinstopft, die Härchen nach links und nach rechts bürstelet, Babysprache flötet und Näschen putzt ohne Ende. Die spielen Müetterlis und Väterlis mit ihrem Nachwuchs. Aber das muss einem gegeben sein. War es mir nicht, nie. Im Gegenteil, ich mag es nicht, wenn sich Leute derart über ein Baby stülpen. Babys sind Persönlichkeiten, sind keine Puppen, verdienen Respekt.
Drum, liebe Leute: Es ist völlig egal, was die Eltern tun, solange sie den Nachwuchs im Auge haben. Schauen Sie sich die zufriedenen Kinder an und nicht giftigen Blickes das Handy am elterlichen Ohr. Keiner bleibt am Handy hängen oder liest das Horoskop in der Zeitschrift, wenn der Nachwuchs quengelt. Auch die Rabenmutter in der Wartezone nicht: das Baby schlief friedlich, sicher auf dem Boden, von wo es nicht hinunterfallen konnte, geschützt durch die Unterlage. Eltern brauchen manchmal etwas Ablenkung. Das war auch in der Handy-losen Vorsteinzeit nicht anders. Wir haben es überlebt. Gut sogar.
25. September 2017
"Ich fühlte mich ertappt"
Beim Lesen von Andrea Strahms Kolumne "Rabeneltern am Smartphone" fühlte ich mich ertappt. Ich habe mich auch schon über Eltern aufgehalten, die sich ständig ihrem Smartphone zuwandten und nicht ihrem ihrem Kind. Nun hat Frau Strahm jedoch Situationen geschildert, die ich auch schon ähnlich erlebt habe. Auch als Vater: Als einer meiner Söhne etwas von mir wollte und ich ins Zeitungslesen vertieft war, gab ich zwar "halbbatzig" Antwort. Doch der Junge merkte, dass ich nicht recht zuhörte und drehte mir mit beiden Händen den Kopf in seine Richtung und sagte nochmals, was er von mir wollte.
Ich sehe nun ein, dass ich als Vater, auch ohne Smartphone damals, nichts stets auf meine Kinder einging, wenn ich gerade konzentriert was anderes tat. Eine Wahrheit bleibt mir trotz dieser Einsicht: Wenn Kinder allgemein mehr echte Zuwendung erleben würden, müssten diese dann nicht im Erwachsenenalter mit raffinierten und manchmal auch plumpen Methoden ständig um Anerkennung ringen!
Ueli Bieder, Gelterkinden
"Eigene Identität macht nicht einfach Pause"
Danke, liebe Andrea Strahm! Auch heute noch, im Zeitalter der weit verbreiteten psychologischen Erkenntnisse zu allen Lebenssbereichen, herrscht bei viel Leuten der Mythos, dass die Geburt eines Kindes bei den Eltern zwangsläufig nur zu überschwenglichen Glücksgefühlen führt. Der Ideologie zufolge darf daneben nichts Anderes mehr Platz haben. Vor allem Mütter sollen nur noch Muttertiere sein. Doch auch die Eltern von sehr erwünschten Kindern bleiben das, was sie vorher waren: Menschen mit diversen Interessen und individuellen Bedürfnissen. Dazu kommen manchmal Ängste und Unsicherheiten über die neue Elternrolle. Frau/mann sollte auch dazu stehen dürfen.
Die eigene Identität macht nicht einfach Pause. Nur ein erfüllter Mensch, ob weiblich oder männlich, kann ein glücklicher Mensch sein, der Glück an seine Kinder weitergeben kann. Manchmal ist es schwer, alles unter einen Hut zu bringen: Kinderbetreuung, sich selbst bleiben, ein eigenes Leben weiterführen. Alle Eltern sollten offen sagen dürfen, dass ihnen die Dinge manchmal über den Kopf wachsen. Das ist die menschliche Realität. Der Mythos muss endlich dorthin verbannt werden, wo er hingehört – ins Reich der Mythen!
Esther Murbach, Basel