Respekt vor den Teesieben
Mitte der Achtzigerjahre hatte ich das Glück, bei einem der renommiertesten Advokaten Basels ein verlängertes Volontariat absolvieren zu können. Es ergab sich, dass ich für meinen Lehrmeister eine Scheidung machen musste, denn was dem Arzt sein Blinddarm ist dem Anwalt seine Scheidung. Er selbst sass bloss daneben und liess mich machen.
Wir besprachen mit dem Klienten die Klagschrift, und er verlangte, dass ich von der treulosen Frau ein Teesieb herausverlangen solle. Ein simples, kleines Drahtsieb mit Plastikgriff, das sie unberechtigterweise beim Auszug mitgenommen habe.
Das erschien mir derart lächerlich, dass ich mich weigerte. Er gab schliesslich nach, mein Mentor sagte kein Wort, verabschiedete den Klienten – und riss mir den Kopf ab. "Und wenn der Klient von seiner Frau eine Rolle Klopapier herausverlangt, Sie schreiben das in die Klage. Punkt. Der Klient hat immer recht, eine Frage des Respektes."
Die Regierung sollte ausführen, was die Legislative entscheidet.
Mein Lehrmeister liess sich allerdings auch nicht für alles einspannen, wie ich bald merkte. Aber dennoch: Die Lektion sass, Respekt vor den Anliegen des andern ohne Wertung, das war der Punkt.
Die Zeit ging ins Land, ich übte meinen Beruf aus, zog Kinder ganz im Sinne der Lektion mit dem Teesieb gross und landete schliesslich im stolzen Alter von 65 Jahren im Grossen Rat, der Legislative. Einem Miliz-Gremium, bunt gemischt aus Berufstätigen, Eltern mit kleinen Kindern, Leuten mit Studium, Leuten ohne, Pensionierten, Arbeitslosen, Jungen, Alten.
Die Legislative ist das Gegenstück zur Exekutive, der Regierung, sieben Berufspolitiker, gut dotiert, gut ausgebildet, abgefedert, von Beratern aller Art umgeben. Die Regierung sollte ausführen, was die Legislative entscheidet, sollte beantworten, was die Parlamentsmitglieder fragen, anregen, fordern. Sie tut das auch, zuweilen.
Tatsächlich sind die Anliegen der Ratsmitglieder an die Regierung so bunt wie das Parlament selbst: Es sind Vorstösse, die eine breite Bevölkerung betreffen, solche mit Partikularinteressen, gehaltvolle Vorstösse, läppische Vorstösse, es ist alles da. Bei Interpellationen muss die Regierung kurzfristig antworten. Die Antwort bleibt folgenlos, die Interpellantin kann lediglich erklären, ob sie mit der Antwort zufrieden ist oder nicht.
Allzu oft sind Interpellanten nicht zufrieden, sondern müssen frustriert feststellen, dass Fragen gar nicht oder nur ausweichend beantwortet wurden. Sie müssen sich einen genervten Regierungsrat, eine gelangweilte Regierungsrätin anhören, dessen oder deren Unmut ob des Themas nicht zu überhören ist. In belehrendem Tonfall, überheblich, respektlos.
Null Bock, den Vorstoss zu beantworten, so kommt es an.
Wir selbst zitierten kürzlich Goethes Faust in einem Votum zu einer entsprechend unbefriedigenden Beantwortung einer Interpellation: "Da steh’ ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor".
Aufgabe nicht erfüllt, liebe Regierung. Den Kommissionen geht es nicht besser. Auch ihre Fragen werden oft patzig und latent aggressiv beantwortet. Die Arbeit der Oberaufsichtskommissionen ist zuweilen ein Spiessrutenlauf, zermürbend. Es wird manipuliert, ausgewichen, auf Zeit gespielt.
Da muss man sich doch fragen: Ist dies das Vorbild, das die Regierung gerade auch für Jungparlamentarierinnen sein möchte? Auch sie sind gewählt, haben eine Community hinter sich, sie bringen ihre Anliegen mit viel Herzblut und Engagement vor. Und sie sitzen vielleicht eines Tages da vorne, auf einem der sieben Sessel. Was haben sie gelernt? Die Legislative als dumm und lästig aussehen zu lassen?!
Es sind nicht alle Mitglieder der Regierung so. Wir haben Regierungsmitglieder, die offen, transparent und vollständig auf Vorstösse und Fragen eingehen, quer durch die Parteien. Bei den anderen fragt man sich manchmal: Haben sie diesen Text wirklich abgesegnet? Oder lesen sie einfach ab, was eine frustrierte Chefbeamtin geschrieben hat, um Dampf abzulassen? Null Bock, dies zu beantworten, so kommt es an.
Parlamentarierinnen, ob einzeln oder als ganze Kommissionen, zu verhöhnen, implizit oder subtil, ist nicht nur respektlos, sondern zutiefst undemokratisch. Die Regierung hat jeden Vorstoss eines Ratsmitgliedes, ob Teesieb oder Grossprojekt, souverän, korrekt und respektvoll zu behandeln.
Denn die Legislative ist die Klientin und hat immer recht. Auch wenn es um eine Rolle Klopapier geht.
22. April 2024
"Hickhack-Machtschach"
Die Politik betreibt Beschäftigungstherapie. Die Arbeit leistet die Verwaltung. Beides kenne ich aus eigener Erfahrung. Während vorne auf der Bühne die Parteien von Links über die Mitte bis nach Rechts mit ihrem Hickhack-Machtschach aufwendig Demokratie spielen, sagen Herrschende hinter den Kulissen den Regierenden, wo es in Tat und Wahrheit lang zu gehen hat. So beispielsweise beim Bauen, bei der Stadtentwicklung und beim Verkehr. Oder auch bei der Bildung, bei der Gesundheit und bei der Landwirtschaft.
Um aus dieser Nummer herauszukommen, braucht es eine fundamental andere Welt: Dafür bin ich gemeinsam mit andern unterwegs.
Ueli Keller, Allschwil
"Teesieb-Vorstösse"
Ich meine, in diesem Artikel greifen Sie zu kurz, Frau Strahm: nein, nicht mit Ihrem Anspruch auf Respekt der Regierung gegenüber dem Parlament. Auf beiden Seiten muss Respekt die Basis sein.
Ein kleiner, aber nicht unwichtiger Unterschied zwischen dem Teesieb-Vorstoss im Scheidungsfall und einem Teesieb- (oder Klopapier)-Vorstoss im Parlament besteht darin, dass die Kosten in einem Fall von der auslösenden Person getragen werden müssen, im andern Fall aber nicht. Die Kosten eines parlamentarischen Vorstosses bezahle ich (unter anderem) mit meinem Steuergeld, nicht das Parlament.
Der Vorstoss kostet die Parlamentsmitglieder nichts. Ja, fragen, anregen und fordern sollen sie trotzdem. Aber mit Respekt der Beamtenschaft und der Regierung gegenüber, die nicht ohne Arbeit sind. Umgekehrt dürfen Sie von der Regierung verlangen, auch beim eventuellen Teesieb-Vorstoss.
Wie wäre es, wenn es im Parlament Personen gäbe, die darauf hinarbeiten, dass das Vorstoss-Instrument nicht für Teesieb-Vorstösse missbraucht wird? Denken Sie an Ihren alten Lehrmeister. Auch er hat sich nicht für alles einspannen lassen!
Klaus Kocher, Zürich
"Emotional motiviert, wenig präzise"
Natürlich stimmt, was Andrea Strahm fordert. Andererseits erinnert das Verhalten des Grossen Rates an seine Gesetze – viele neue, emotional motiviert, wenig präzise, ohne über Durchsetzung und Kosten nachzudenken. Die Exekutive muss sie dann präzisieren, mittels "Ausführungsbestimmungen", die irgendwie weit mehr Einfluss ausüben, als die Gesetze selbst, aber im Parlament erstmal niemanden wirklich interessieren. (Zumal sie vermutlich von/für Juristen in ihrer für Normalos unverständlichen Sprache formuliert werden.)
Dann sind da die "sieben Berufspolitiker, gut dotiert, gut ausgebildet (worin?), abgefedert, von Beratern aller Art umgeben", die ein (infolge der Unmenge an Gesetzen viel zu grosses) Departement führen sollen, wo das Kader – nicht gewählt, aber langjährig und nicht ohne eigene politische Meinungen – den "Laden" wirklich führt. Wen wundert, wenn sie "nur" die Meinungen der Chefbeamten vorlesen?
Fazit: Auch von den Parlamentariern darf/muss man Disziplin, Sachlichkeit, Präzision, Zurückhaltung und Vernunft fordern; dass es nicht nur Gesetze schafft, sondern auch entsorgt. Am Ende sind da die Bürger, die das (Menschen-)Recht hätten, die Gesetze verstehen und überblicken zu können.
Peter Waldner, Basel