Junge her, rein in die Politik!
Wir pushen und locken Junge, wollen Junge in die Ämter, Junge sollen wählen, in die Politik, in die Parteien. Wir brauchen Nachwuchs, es geht doch um ihre Zukunft, wir sind bloss Auslaufmodelle. Es sind nie genug da, und wenn, dann haben sie gerade ihr Wahlstudienjahr, machen ihren Master oder ein Sabatical oder trampen durch Indien. Genau wie wir einst. Bloss hiess das damals noch anders, Lizentiat, Zwischenjahr oder so.
Mich hätte man noch so locken können, Politik war nicht mein Ding. Ein bisschen interessant vielleicht, wenn es ums Besetzen von Kernkraftwerken oder das AJZ ging, was das "Autonome Jugendzentrum" war. Welches sie dann abrissen, die Dilettanten.
Aber im Prinzip ging es gar nicht darum, politisch mitgestalten zu wollen, es ging ums Rebellieren. Das Establishment war spiessig und prüde und sowas von out, und Politik war ja nichts anderes als Establishment, sprich eine krawattentragende, graue Männerwelt. Oppositioneller Mainstream war ich, und das war ich der Liebe wegen, nicht aus Überzeugung. Wenn die heutigen Aussteiger-Kiffer in ihrer Wagenburg am Rhein unten meinen, sie seien was anderes als oppositioneller Mainstream, dann sollen sie weiterträumen, alles schon da gewesen. Aber lassen wir das.
"Verheizen dürfen wir die Jungen
nicht, auf gar keinen Fall."
Wirklich in die Räder der Politik eingebunden werden wollen junge Leute in aller Regel nicht. Ausnahmen bestätigen die Regel. Es gibt sie, die Alphatiere, die da stehen, ausrufen, fordern, und einstecken, ohne unterzugehen. Das sind Ausnahmetalente, hoch begehrt. Ansonsten sind der Jugend in aller Regel andere Dinge wichtig als die Politik. Nämlich die Liebe, die Freizeit, die Ausbildung, ein Job, das Hobby, Party machen. Bei manchen ist die Politik das Hobby, aber bitte nicht mehr, Liebe, Freizeit, Ausbildung und Party dürfen nicht zu kurz kommen, sonst ist etwas lätz.
Es hat Vorteile, mit Politik aufzuwachsen und früh einzusteigen, und es hat Vorteile, eine Quereinsteigerin zu sein, wie beispielsweise ich. Wobei ich, zugegeben, etwas gar lange gewartet habe. So bis zu meinem 45. Geburtstag ungefähr. Meine Erwachsenwerdung hat sichtlich gedauert, hélas.
Wer quer einsteigt und von aussen kommt, betrachtet die Dinge anders, als wer damit aufwächst. Stellt Fragen und wundert sich über Dinge, die den habitués selbstverständlich sind. Spätberufene merken zum Beispiel die Änderung im Umgang mit den Mitmenschen, wenn ihr Konterfei in den Medien erschienen ist. Merken, wer sich plötzlich anders verhält, merken die schnellen Blicke, wenn sie ins Restaurant kommen, an der Coop-Kasse stehen. Wer schon mit zwanzig Jahren im Fokus steht, ist es hingegen gewohnt.
Aber weiss der Jungspund auch, wie flüchtig das alles ist? Was normal wäre? Weiss er noch, wer wirklich sein Freund, seine Freundin ist? Und wer ihm bloss auf den Pelz rückt, auf dass ein Seitenstrahl des Spotlichts des Fotografen auch ihn, den nobody, dämmerig erleuchte?
Und weiss der neue Shooting Star der Partei auch, dass das Ganze nichts mit seiner Person zu tun hat, er wegen dem ganzen Theater kein Siebesiech geworden ist, sondern nach wie vor der gleiche Max aus dem Gundeli und die gleiche Anna vom Wenkenberg? Und dies auch dann, wenn er oder sie in Ungnade gefallen sein wird, noch immer ist, und keine Versagerin, kein Looser? Sondern einfach nur Max oder Anna. Denn das ist es doch, was der Spätzünder ganz genau weiss, und sich selber und den ganzen Zirkus deshalb nicht so wichtig nimmt: ich bin ich, und fertig.
Junge Erwachsene, die bereit sind, sich politisch einzuleben und einzubringen, die wir aufbauen, bekannt machen und die dann nach und nach das Zepter übernehmen können, die brauchen wir. Aber sie sollen erst ihre Masters, Sabaticals, und die Lebenserfahrung machen, die sie zu dem machen, was sie sein werden, aber noch nicht ganz sind. Einen Fuss in der Türe dürfen sie dennoch bereits haben, ein bisschen politische Luft schnuppern. Aber verheizen dürfen wir sie nicht, auf gar keinen Fall. Begleiten, nicht pushen, nicht locken, das muss die Devise sein. Stellen sie sich hingegen von sich aus mit Begeisterung aufs Podium – wunderbar, dann stehen wir Hilfe.
Denn nicht wahr, das Geld, welches Justin Bieber für Bodyguards und Brangelina für Privatschulen haben, das haben die Parteien hierzulande nicht. Wir grinsen von der Litfasssäule, und dann stehen wir wieder an der Migros-Kasse und werden angegafft. Gnadenlos.
26. Oktober 2015