Das Kreisen um das Schenken
Eine Propagandamaschinerie besser als jeder Abstimmungskampf macht es auch dem Hintersten und Letzten derzeit klar: Weihnachten ist die Zeit des Schenkens. Dagegen wäre eigentlich nichts einzuwenden. Aber ich freue mich jedes Mal diebisch, wenn ich für jemanden ein Geschenk gefunden habe, das, wie ich hoffe und vermute, einschlagen wird wie eine Bombe und beim Beschenkten sichtliche Freude hervorruft. Oder umgekehrt, wenn ich etwas geschenkt erhalte, was mir umwerfend gefällt. Wie die Tasche im Leopardenprint letztes Jahr, die ich in den Ferien in Italien immer wieder im Schaufenster eines Ladens anhimmelte, und die meine Lieben hinter meinem Rücken mit tückischen Ablenkungsmanövern heimlich gekauft und mir dann unter dem Weihnachtsbaum mit breitem Grinsen kredenzt haben.
Als wir Kinder waren, hatten vor allem die Geschenke der gestrengen Strahm-Sippe erzieherischen Charakter. Es gab wenig, und nichts, was wirklich Spass machte. Ich erhielt zu meinem mässigen Entzücken regelmässig einen Silberlöffel, der dann umgehend wieder abgegeben werden musste und von meinem Vater verwaltet wurde. Und auch dieses Silberding musste ich mir mit Gedichten und Darbietungen aller Art erst verdienen. Das Znacht war meist spartanisch und steif. Meine Mutter führte deshalb früh eine Feier "entre nous" ein, und diese war fröhlich und lebendig. Zudem war sie mit ihren Geschenken ebenso grosszügig, wie mein Vater.
Einfach ist Schenken nicht. Ich habe, ausgerechnet bei meiner besseren Hälfte, schon total in die Tinte gegriffen. Einmal etwa hat er sich ein GPS-Gerät gewünscht, als es dies noch nicht überall gab. Ich setzte Himmel und Hölle in Bewegung, liess ein Teil aus Holland kommen, freute mich wie ein Schneehase, und er zunächst auch. Bloss: Er kam mit dem Teil absolut nicht klar, und nachdem eine Anstandsfrist verstrichen war, gab er es mir wieder zurück. Da stand ich dann, orientierungslos trotz GPS.
Einen wahren Schreckensschrei stiess er aus – beinahe hätten wir einen Defibrillator gebraucht –, als wir ihm einmal als Geburtstagsüberraschung sein Büro auf- und umgeräumt hatten. Dabei hatten wir alle Akten säuberlich umgeschichtet und peinlichst darauf geachtet, nichts zu vermischen. Verändert hatten wir allerdings allerhand.
Kurzum, es ist nicht immer einfach, mit einem Geschenk der Star des Weihnachtsabends zu werden und was den Vater meiner Kinder betrifft, neige ich seit besagten Erlebnissen dazu, ihm eher diese Ich-gehe-auf-Nummer-sicher-Geschenke zu machen. Sie wissen, was ich meine: Designerpullover, Wein, Socken, Pyjamas.
Es ist in der Tat ziemlich unangenehm, wenn man Freude heucheln muss, obwohl einem der schiere Schlag trifft ob dessen, was da dem Glanzpapier entspringt. Ganz schlimm ist es, wenn hinter dem Geschenk Besserwisserei steckt und der Beschenkte belehrt werden soll. So erhielt ich in meiner Hippie-Phase etwa regelmässig nette Wollkaro-Hosen mit klassischem V-Pulli von "Kost Sport" – meilenweit von meinen Hüfthosen mit Schlag und den Batikhemden entfernt, und natürlich war ich sauer. Ich hätte wissen müssen, dass auch meine Töchter den Spanisch-Langenscheidt nicht das Gelbe vom Ei fanden, den sie mal aus Geschenkpapier wickelten. Deshalb lasse ich das Erziehen jetzt an Weihnachten bleiben.
Die Schenk-Falle umschiffen manche elegant, indem sie vereinbaren, sich nichts zu schenken. Vielleicht noch mit einem gemeinnützigen Zweck verbunden: Anstatt unnütze Geschenke zu machen, wird einem guten Zweck gespendet. Gegen eine Spende ist nichts einzuwenden. Nichts zu schenken ist allerdings die verpasste Gelegenheit, sich in einen zu Beschenkenden einzufühlen. Gerade, wenn dieser nicht zum engsten Kreis gehört, man ihn nicht so gut kennt oder mag. Die Beschäftigung damit, wer der andere wohl ist, ist bereichernd. Lieblos Güter auszutauschen bringt hingegen nichts.
Dabei ist es völlig irrelevant, ob viel Geld oder wenig ausgegeben wird, und eigentlich auch, ob man den Gusto des Beschenkten letztlich trifft. Es geht um die Entwicklung von Sozialkompetenz dank "Weihnachten ist die Zeit des Schenkens". Damit kommen wir den christlichen Werten eigentlich näher als dem Kommerz.
Apropos Büro und zu meiner Verteidigung: Ich hatte dem Vater meiner Kinder eine Stehleuchte schenken wollen, weil sein Büro so dunkel ist und er sich darüber immer beklagt hatte. Die Lampe ist wirklich toll, aber die kam nicht zur Geltung in dem Chaos, deshalb die Aufräumaktion. Überhaupt nicht erzieherisch gemeint, ehrlich. Und die Lampe, die hat ihm wirklich gefallen.
22. November 2010