Ein Vorschlag im Basler Qualjahr
Sie ist vorbei, die Zeit der organisierten Feiern, und wir atmen auf. Jedenfalls ich. So auf Knopfdruck feiern zu müssen, weil jetzt grad alle Welt feiert, weil das jetzt halt so ein Must ist zu dieser Jahreszeit, das mag ich so wenig wie andere Musts. Louis Vuitton-Taschen, Burberry-Mäntel oder nackte Füsse in Turnschuhen im Winter. Überstanden jetzt, das grosse Feiern.
Aber bloss das. Denn wir haben Wahljahr, und Wahljahr ist Qualjahr. Für Donald Trump ebenso wie für Conradin Cramer, Tanja Soland, Lukas Engelberger und den Grossen Rat von Basel-Stadt. Und für die Wählerinnen und Wähler. Auch für die.
Sie bündeln Altpapierberge und sehen in Gesichter, die lächeln und versprechen, sie gehen spazieren, und es lächelt und verspricht aus allen Ecken, von allen Wänden. Im Fernsehen, in allen möglichen und unmöglichen Medien, es lächelt, verspricht. Und empört sich. Und prangert an, instrumentalisiert, manipuliert, gestikuliert, polarisiert. Es wird überzeichnet und übergangen. Wahlkampf ist hart geworden, brutal auch, Wahlkampf macht keinen Spass, weder dem, der ihn führen muss, noch dem, der umworben wird. Zu viel, das alles.
Das Publikum rächt sich. Hackt den Frust in die Tasten und setzt den Verriss auf Facebook, Instagram, Twitter. Die Werbung freut's, mehr Posts, mehr Klicks, der Rubel rollt. Immerhin weiss da die angegriffene Politikperson meist, wer sie fertigmacht, anders als bei anonymen Briefen.
"Du blödi Sau !" schrieb mir kürzlich einer, mit Leerschlag vor dem Ausrufezeichen, nebst anderen Unflätigkeiten, auch mit Leerschlägen vor den Ausrufezeichen. Manchmal ahnt der Empfänger, wer das war, so wie ich hier, manchmal ist es aussichtslos. Aufregen tut dies so oder so niemanden mehr. Dicke Haut, abgestumpft, anders geht es nicht, ist es nicht auszuhalten.
"Es ist unglaublich schwierig geworden,
eine intelligente Politik zu betreiben."
Die Aussenparteien schaukeln sich gegenseitig hoch. Macht Links einen Vorstoss, macht Rechts deren zwei. Und Links wieder drei. Die Mitte steht da wie der Schiedsrichter beim Tennis, das Volk schimpft sie Wendehals und wählt links oder rechts. Denn da weisst du, was du hast.
Es ist unglaublich schwierig geworden, eine intelligente Politik zu betreiben. Der Druck und die Versuchung, beim marktschreierischen Hickhack mitzumischen, sind riesig. Differenzierte Politik braucht Zeit, die Vorlagen müssen analysiert und durchgedacht werden. Die Folgen für diese und jene Bevölkerungsgruppe müssen klar sein, es muss jeder Politiker, jede Politikerin für sich entscheiden, was ihm oder ihr wichtig ist, und was noch wichtiger. Und das muss kommuniziert werden können.
Wichtig wäre, es könnte auch erklärt werden. Bloss hört keiner mehr zu. Sofern überhaupt Zuhörer an einen Anlass kommen, ist nach dem zweiten Satz des Referenten Schluss. Jeder zückt sein Handy, checkt Mails, Facebook oder den Stand des Matchs von Roger Federer. Und die, die da vorne sprechen, könnten jeden Quatsch erzählen. JEDEN.
Ob ihrem Votum schliesslich gefolgt wird, entscheiden Kleider, Frisur, Sympathie, Antipathie. War doch ganz nett, die da, gute Figur. Aber der andere, diese fettigen Haare, die der so peinlich über die Glatze klebt, nein Danke. Und so kommt es, wie es kommen muss: Wer gewählt werden will, muss sich verkaufen, ausstellen, austeilen, auffallen. Egal wie.
Bei der Politik ginge es eigentlich um das Gesamtwohl, und nicht um die Selbstdarstellung, zu der jeder, der sich für dieses Gesamtwohl einsetzen möchte, heutzutage gezwungen ist. Es wäre theoretisch anders machbar. Wir könnten den unsinnigen Wettbewerb gemeinsam herunterfahren. Links und Rechts und alle andern an einen Tisch setzen und einen Codex erarbeiten. Wir könnten uns gemeinsam auf einen vernünftigen Wahlkampf einigen, bei dem jede Partei ihre Anliegen fair offenlegt. Und auf die Clownereien verzichten.
Das hatten wir früher, und wir haben es nicht mehr, seitdem ein herrschsüchtiger Herr aus Herrliberg die Herrschaft übernahm. Und plötzlich jeder jedem die Show stehlen muss, statt zu argumentieren. Aber will das Volk überhaupt, dass wir herunterfahren? Oder will es die Spiele? Das ist die Frage.
Wie auch immer: Im Januar 2021 werden dann sowohl die Feiertage 2020 als auch das Qualjahr vorbei sein. Und dann wird es, hier im Kanton Basel-Stadt, wirklich möglich sein, aufzuatmen. Bis zum nächsten Mal.
13. Januar 2020
"Die Mitte trägt eine Mitschuld"
Stimmt alles, irgendwie. Ich hab's zweimal gelesen, um die Gedanken zu fassen, die mir da oder dort in den Sinn gekommen sind. Zum Beispiel, dass der "herrschsüchtiger Herr aus Herrliberg" die Herrschaft übernehmen konnte, weil er es verstand, gut zu argumentieren. Er hat nicht mit "Show", sondern mit Aussagen "in der Sprache des Volkes" viele Menschen ansprechen können. Er hat nicht "vornehm" mit vielen Worten nichts gesagt, sondern deutlich Position bezogen, besonders in Fragen über "heisse Eisen".
Der Zwang zur "Selbstdarstellung" ist auch das traurige Resultat der Tatsache, dass die Medien Politik und Politiker – ganz wie das Volk – zunehmend emotional, nicht etwa mehr sachlich zur Kenntnis nehmen. Da kommt mir sogleich der ehemalige Bundesrat Schneider-Ammann in den Sinn – er bleibt vermutlich den meisten Bürgern als eine müde Witzfigur in Erinnerung. Seine tatsächlich grossartigen politischen Erfolge in der Förderung von Wirtschaft und Ausbildung, aber auch der Diplomatie, waren den meisten Medien kaum Raum wert – war für das leichtfertige Volk auch nicht "emotional" genug.
Das Publikum, das sich rächt, indem es den Frust in die Tasten hackt, tut das mehrheitlich aus der "Blase" heraus, in dem es hockt. Der angegriffene Politiker muss lernen zu erkennen, ob sich ein sachliches Argument hinter der Emotion versteckt; denn so etwas sollte stets zu denken geben, und sei es, um es nötigenfalls zu widerlegen. Das beherrschte der "Herr aus Herrliberg" vorzüglich.
Mein Fazit: Es ist sehr viel einfacher, in Sachfragen die emotional eher extremen Positionen zu vermitteln, als eine kluge Vernunft, die niemanden "richtig" glücklich macht, aber auch (fast) niemanden total ausstösst. Eine der grössten Stärken der Politik, der Demokratie in der Schweiz war stets, dass die Anliegen der Minderheiten respektiert und berücksichtigt wurden.
Über den extensiven Einsatz von Volksinitiativen mit einseitiger Ausrichtung schaffen es die Parteien am linken und rechten Ende des politischen Spektrums zusehends, die Politik und das Volk im Land zu polarisieren. Emotional, einseitig, unklug. Die sogenannte "Mitte" trägt dabei Mitschuld, weil sie (durchaus zunehmend emotionalisiert) mehrheitlich reagiert statt agiert, möglichst keine "Fehler" machen will, statt das Risiko einzugehen, damit auch mal nicht so gut (in der eigenen "Blase"/Partei) anzukommen; da schliesst sich der Kreis der "Selbstdarstellung" für mich.
Einem "Herrn aus Herrliberg" kann man nur Paroli bieten, indem man ihm in seiner Sprache mit knochenharten Argumenten begegnet, die das Wahlvolk verstehen kann. Die in der eigenen Blase vornehme Zurückhaltung – sei es in der Sprache, sei es bei der Sachfrage selbst – lockt im emotional geprägten Wahlvolk niemanden mehr hinter dem Ofen hervor! Darum bleibt am Ende nur "Lächeln" und "Frisur" ...
Peter Waldner, Basel
"Solches Schulhofgebaren"
Wieder einmal ins Schwarze getroffen, Andrea! Leider. Und weil solches Schulhofgebaren nicht zu "christlich" passt, muss das "C" aus der CVP weg! En avant, collègues!
Rebecca Burkhardt, Basel