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Frankenstein, Heavy Metal und meine UrgrossmutterEs pfutteret aus allen Ecken: Grässlich, diese Jugendlichen in schwarzen Kleidern, mit tiefschwarz gefärbtem Haar und weissen Gesichtern. Die Szene nennt sich heute, wie die moderne Mutter weiss, "Schwarze Szene" (dreimal raten, weshalb) und hat Untergruppen wie Goths (die mit den mittelalterlichen Gewändern), Punks (die mit den Stacheln auf dem Kopf), Emos (die ritzen sich und heulen) und Martials (das sind die hartgesottenen). Wie dem auch sei: Wichtig ist, irgendwo dazu zu gehören, und das zu demonstrieren.
Als ich etwa 14 Jahre alt war, da lief zumindest ich nicht schwarz mit weissem Gesicht herum. Ich hatte zwar ein Poster von Frank Zappa im Zimmer hängen, lange, schwarze Haare, kalkweisses Gesicht, und der sass, man glaubt es nicht, auf dem Klo. Nicht, dass der mir – heute kann ich das ja zugeben – gefallen hätte, aber es war ein absolut geeignetes Mittel, meine Mutter in den Wahnsinn zu treiben, und zwar nicht wegen schwarz und weiss, sondern wegen dem Klo, selbstverständlich. Farblich war ich ein bunter Schmalspur-Hippy, schwarz fand ich scheusslich.
Denn das schwarz-weisse Grauen war keine Errungenschaft von Frank Zappa, Alice Cooper & Co., sondern hatte Tradition in Basel. Farbig war nämlich ordinär. Man trug dezente Farben und schwarz. Von einem gewissen Alter an hatte jedermann jemanden zu betrauern, also war schon das ein Grund, zumindest ein Jahr lang in schwarz daher zu kommen. Schwarz war aber bei Lichte besehen vor allem praktisch, man konnte es mit wenigen Mitteln, einem dunkelroten Seidenschal etwa oder einer nach Kampfer stinkenden Fuchsstola, immer wieder anders präsentieren, ohne viel Geld ausgeben zu müssen.
Leider kümmerte das die Neureichen einen Deut. In Zürich waren die Sitten sogar bei den Alteingesessenen anders, Zwingli statt Calvin: Dort durfte man einen dicken Wagen nicht nur in der Garage haben, sondern auch fahren. Das war für Basler bitter. Denn, franchement, was nützte einem das Altreiche, das Vornehme, wenn es keiner sah? Da kamen also diese Ordinären im Luxus daher, und die Vornehmheit rümpfte blassgrün die spitze Nase, das schwarze, dreimal gewendete und aufgearbeitete Mäntelchen über den mageren Schultern.
Wenn also unsere Sippe sonntäglich bei der Urgrossmutter die Aufwartung machte, dann sah es im Wohnzimmer aus, wie im Pinguinhaus: Alles schwarz, die Herren mit weissem Hemd. Nur wir Kinder trugen Pastell. Ich sehe sie heute noch um mich stehen, all die hohen, schwarzen, blassen, spitznasigen Gestalten. Zum Fürchten, vor allem, wenn man unverhofft im Mittelpunkt stand, weil man etwa gewachsen war oder ein Gedicht aufsagen musste. Nur meine Urgrossmutter, das Ureli, war liegend und leidend, Häkelstola (grau) auf schwarzer Seide. Frankenstein auf der Chaiselongue.
Da war also, im Grunde genommen, die "Schwarze Szene" meines Lebens, Frank Zappa harmlos dagegen. Und heute? Auch wenn sie, diese Punks, Goths, Martials und Emos meinen, sie hätten das erfunden, es stimmt leider nicht, es war alles schon da.
Das trifft auch auf andere schwarze Belange zu. Schwarze Schafe, schwarze Parteiprogramme, schwarze Wirtschaftsprognosen, Schwarzsehereien im Allgemeinen und im Besonderen. 3. Januar 2011
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