Die Angst geht um: Heidi mit Burka
Heidi kann einpacken. Nicht diese Dame mit den gemeisselten Wangenknochen und den schwarz gemalten Augenhöhlen natürlich, sondern das Mädchen mit den Zöpfen aus den Bergen und dem Alpöhi. Einpacken kann das Heidi, weil sie uns überfremden, all diese Einwanderer anderer Nationalitäten. Die Angst geht um, die Angst davor, dass das Heidi in Bälde mit Burka rumläuft und der Alpöhi seine Haare als Hahnenkamm stylt. Dass wir Schweizer bei uns zu Hause die Fremden sein werden, das ist es, was wir fürchten.
Auch das Tessin hat Angst. Vor allem vor den italienischen Nachbarn. Die arbeiten billiger und machen den Markt kaputt, den tessinerischen. Und südlich der Schweiz schimpfen sie über die Chinesen, die den Markt kaputt machen, den italienischen. Aber lassen wir das. Jedenfalls kommt alles Böse im Tessin aus Italien, Flüchtlinge und Schleierfrauen und Automechaniker und muratori, deshalb wird verboten, was geht, die "Lega dei Ticinesi" hat Zulauf wie nirgendwo sonst, ein einig Volk von Fremdenhassern, diese Ticinesi.
Es sei denn, die Überfremder kommen aus ännet dem Gotthard. Denn die Tessiner sind bei Lichte betrachtet allerhöchstens noch in den Bergen unter sich, vorausgesetzt, dass es dort keine Geissenkäsli produzierende Aussteiger aus dem Norden hat.
"Wer Flüchtling spielt, ohne es zu sein,
gehört weg, denn das ist Bschiss."
Am Lago Maggiore sind wir Nordlichter fast ganz unter uns. Eher müssen wir Svizzeri in der Schweizer Sonnenstube Hochdeutsch sprechen als Italienisch, denn egal wo, ob im Restaurant, im Spital, in der Ladenmeile – man spricht Deutsch, ist oft Deutscher oder Deutsche, Zürcher oder Bernerin, und wird von ebensolchen bedient, behandelt und zur Kasse gebeten. Die schwarze Tafel vor der Beiz in Brissago preist "Wurstsalat mit Pommes" an, und bald hängen die Kneipen wieder blau-weisse Fähnchen aus den Fenstern, klar doch, Oktoberfest. Die Zeiten, als die Grotti mit Polenta oder Risotti Liebhaber aus dem Norden anzogen, sind vorbei. Rahmschnitzel mit Spätzle, das ist die Devise.
Die Devise bestimmt, wer Devisen bringt. Auch in Interlaken drüben. Schleierfrauen? Kein Problem, solange sie im "Viktoria Jungfrau" nächtigen und sich mit Luxusmarken eindecken. Aber wehe ihnen, sie gehören einer andern sozialen Schicht an. Ein Mädchen mit Kopftuch aus Thun, gleich neben Interlaken, wird kaum in die Schule gelassen. Das war halt wohl kein "Hermes"-Foulard, was sich die junge Frau da um den Kopf gebunden hatte. Und ohne Devisen keine Perspektiven.
Bref, die Identität, die schweizerische, verlieren wir offenbar nur, wenn mit dem sich in die Schweiz verirrt Habenden kein Geschäft gemacht werden kann. Kann er tüchtig gemolken werden, dann passen wir uns an wie ein Chamäleon. Stampfen im puritanischen Basel die gleichen überladenen Weihnachtsmärkte aus dem Boden, wie sie in süddeutschen Landen Tradition haben, mit Dresdner Stollen und Schwarzwälder Räuchermännchen. Authentizität, Identität? Pfeif drauf, solange der Rubel rollt. Käuflich sind wir, nichts anderes. So wie die, die hier her kommen, um Geld zu verdienen. Ob Kaderleute oder Wirtschaftsflüchtlinge, es dreht sich alles um den Mammon.
Das ist legitim und weder gut noch schlecht. Wir dürfen alle rechnen, und müssen dies auch, vor allem aber müssen wir es uns eingestehen. Es geht ums Geld, nicht ums Schweizer Kreuz. Das ist der entscheidende Punkt bei der Lösung der Problematik der Menschenmassen, die derzeit über Europa hereinbrechen.
Für verfolgte Leute sind wir da. Alle andern aber sind keine Flüchtlinge. Die haben hier eine Aufenthaltsbewilligung zu beantragen, und dann schauen wir, ob wir sie brauchen können. Wer Flüchtling spielt, ohne es zu sein, gehört weg, denn das ist Bschiss. Hier jahrelang herum hängen, Geld nach Hause schicken, und im Land, in dem sie verfolgt sein wollen, Ferien machen – das geht gar nicht. Rasche Prüfung und rasche Ausweisung aller, die da tricksen. Und Hilfe für die andern.
Es ist ein rein ökonomischer Ansatz, mit Identitätsverlust hat das nichts zu tun. So rasch lassen die Schweizer sich ihre Identität nicht nehmen. Das Heidi isst längst Spaghetti und Sushi statt Röschti mit Chäs. Und der Alpöhi spielt Trompete in einer Jazzband. Und beide fühlen sich sehr, sehr schweizerisch.
31. August 2015